Sie können sich nicht erinnern, wann Sie zuletzt pünktlich Feierabend gemacht haben. Selbst nach dem Abendbrot mit der Familie sitzen Sie noch bis spät in die Nacht am Rechner und arbeiten, während ihr*e Chef*in über Personalmangel klagt. Freunde, Hobby und Haushalt bleiben auf der Strecke, weil Sie nach den vielen Überstunden nur noch erschöpft ins Bett fallen. Das kommt Ihnen bekannt vor? Damit sind Sie nicht allein. Für viele Beschäftigte ist das inzwischen die traurige Regel.
Laut dem Arbeitszeitreport Deutschland 2016 arbeiten Vollzeitbeschäftigte wöchentlich regelmäßig knapp fünf Stunden länger als vertraglich vereinbart. Personelle Engpässe, ein Großauftrag, ein wichtiges Projekt oder einfach die schiere Flut an Aufgaben zwingen Beschäftigte immer wieder dazu, ihre Arbeitstage zu verlängern. Jede*r vierte Beschäftigte berichtet außerdem davon, dass der Arbeitgeber erwartet, auch in der Freizeit für berufliche Angelegenheiten erreichbar zu sein. Vor allem im Home-Office verschwimmen die Grenzen, die Work-Life-Balance gerät ins Ungleichgewicht. Klarheit schaffen soll systematische Erfassung der gesamten Arbeitszeit, zu der die Arbeitgeber ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom Herbst 2022 verpflichtet.
Obwohl Mehrarbeit und Überstunden nicht ohne Weiteres von Vorgesetzten angeordnet werden dürfen, wird dies häufig ganz selbstverständlich vom Arbeitgeber hingenommen und teilweise sogar erwartet. Dabei ist gesetzlich oder tarifvertraglich genau geregelt, was Ihr Arbeitgeber verlangen darf und was nicht. Und das ist auch gut so, denn zu viel Arbeit kann gravierende gesundheitliche Folgen haben. Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihre jeweilige Situation und Rechte genau kennen: Was steht in Ihrem Arbeitsvertrag? Gilt ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung in Ihrem Betrieb? Oder greifen die allgemeinen gesetzlichen Regelungen?
Grundsätzlich gilt das Arbeitszeitgesetz. Bestandteile sind beispielsweise:
Grundsätzlich gilt: Personalmangel rechtfertigt keine Überstunden. Ihr Arbeitgeber kann Sie also nicht zu Mehrarbeit „verdonnern“, nur weil z. B. gerade ein*e Kolleg*in von Ihnen gekündigt hat. Überstunden wegen Personalmangels sind nur dann rechtens, wenn es arbeits- oder tarifvertragliche Klauseln hierzu gibt. Ist eine solche vertragliche Regelung gegeben, können z. B. im Pflegebereich Überstunden angeordnet werden, um die Versorgung von Patient*innen zu sichern. Auch hier ist der Arbeitgeber aber in der Pflicht, den Personalmangel – also den Grund für die Überstunden – schnellstmöglich zu beseitigen.
Außerdem nicht zulässig ist die Anordnung von Überstunden während der Kurzarbeit – wenn Ihre Vorgesetzten dies verlangen, sollten Sie ablehnen. Unter Umständen könnten Sie sich sonst der Beihilfe zum Subventionsbetrug schuldig machen.
Alle abweichenden Regelungen zur Arbeitszeit und zur Anordnung von Überstunden bedürfen eines vereinbarten Interessensausgleichs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter*innen in Form eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung.
Angst um den Job, Arbeitsdruck, zu viele Aufgaben, die Kolleg*innen nicht hängen lassen? Sie arbeiten über Wochen und Monate hinweg mehr als die vertraglich vereinbarte Zeit und wollen zurück zu Ihren Regelarbeitszeiten? So gehen Sie das schwierige Thema am besten an.
Erste Schritte
Häufige Fehler vermeiden
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Grundsätzlich gilt: Überstunden müssen bezahlt werden, auch dann, wenn es in Ihrem Betrieb keine gesonderten Vereinbarungen zur Vergütung von Überstunden oder Freizeitausgleich gibt. Ebenso sind Regelungen, die z. B. eine pauschale Abgeltung von Überstunden mit dem normalen Monatsentgelt vorsehen, häufig unwirksam. Wichtig dabei ist, dass Sie im Zweifelsfall belegen können, dass die Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst wurden oder er sie zumindest wissentlich geduldet hat und damit einverstanden war.
Rechnen Sie aus, welchen Wert Ihre Überstunden haben und was Sie wirklich verdienen oder welcher Ausgleich Ihnen zusteht!
Die Begriffe Mehrarbeit und Überstunden werden gerne synonym verwendet, weil sie bei Vollzeitbeschäftigten auf das Gleiche hinauslaufen. Für Teilzeitbeschäftigte ergibt sich aber ein wichtiger, juristischer Unterschied: Überstunden fallen an, wenn über die vertraglich vereinbarte Zeit hinaus gearbeitet wird. Mehrarbeit hingegen entsteht erst, wenn mehr als die in der gesetzlichen Regelarbeitszeit verankerten acht Stunden am Tag anfallen.
Diese Definition ist besonders wichtig, wenn Überstunden zum Streitfall werden, denn sie bedeutet: Egal, in welchem Arbeitsverhältnis Sie stehen, Ihr Arbeitgeber muss für einen Ausgleich der geleisteten Überstunden sorgen.
Nur in zwei Fällen darf der Arbeitgeber Überstunden explizit verlangen: In Krisen- oder Notfall-Situationen, die für das Unternehmen existenzbedrohend sind, und bei besonderem betrieblichem Bedarf. Eine solche Situation kann etwa gegeben sein, wenn die Arbeitnehmer*innen mit der normalen Arbeitszeit den Betrieb nicht aufrechterhalten können, weil zu viele Kolleg*innen z. B. an Covid-19 erkrankt sind oder sich in Quarantäne befinden. Aber auch in diesem Fall muss innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich auf acht Stunden werktäglich (48 Stunden wöchentlich) erfolgen.
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
Alle Beschäftigten können sich auf das Arbeitsschutzgesetz berufen: Es dient der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit und beinhaltet Grundsätze und konkrete Maßnahmen, die den Arbeitgeber rechtlich dazu verpflichten, die Arbeit für die Beschäftigten sozial verträglich zu gestalten.
Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
Das Arbeitszeitgesetz regelt ganz allgemein die Arbeitszeit in allen Arbeitsverträgen, die keinem Tarifvertrag unterliegen, also wann Überstunden erlaubt sind, wie lange Beschäftigte am Stück arbeiten dürfen, welche Ruhepausen ihnen zustehen, ab wann Nachtarbeit beginnt und so weiter.
Tarifvertragsgesetz (TVG)
Das Tarifvertragsgesetz regelt die Rechte und Pflichten zwischen den Tarifvertragsparteien (Beschäftigte, Gewerkschaft und Arbeitgeber) und enthält Gesetze, die z. B. den Inhalt und den Abschluss von Arbeitsverhältnissen festhalten.
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